Claudius und der Gefühlscontainer

 

Claudius ist Musiker. Er spielt in einem Orchester und liebt seinen Beruf. Seine Depression hat sich in den letzten 6 Monaten etwas gebessert. „Wie geht es Ihnen“, frage ich zu Beginn der Stunde. Claudius zögert. Er wägt ab, welche Worte die richtigen sind. „Es ist nichts Schlimmes passiert, aber ich merke, dass die Dunkelheit wiederkommt.“

 

Ich ermutige Claudius zu erzählen, was vorgefallen ist. „Ich hatte ein Konzert und ich habe mich zweimal verspielt. Ich habe mich sehr über mich selbst geärgert und habe meinen Kollegen und meinen Freunden davon erzählt. Alle haben toll reagiert. Sie haben gesagt: Ist doch nicht so schlimm. Merkt doch keiner. Kann doch jedem passieren. Sei doch nicht so streng mit dir. Ärgere dich nicht. Ich glaube, alle haben es gut mit mir gemeint, aber seitdem ist es in mir dunkler als davor. Ich fühle mich entsetzlich.“

 

Kann diese gutgemeinte Reaktion der Schlüssel zu Claudius Dunkelheit sein?

 

Claudius hat sich nach seinen Patzern im Konzert über sich selber geärgert und alle aufmunternden Äußerungen haben seine Stimmung weiter ins Negative gedrückt. In ihm ist es immer dunkler geworden als heller. Welche Reaktion hätte Claudius von seiner Dunkelheit weggelockt? Was hat Claudius gefehlt? Claudius hätte eine Person gebraucht, die seinen Ärger wahrnimmt und – ganz wichtig! – Claudius widerspiegelt, dass sie seinen Ärger wertungsfrei! wahrnimmt und ernst nimmt. Ein einfacher Satz wie zum Beispiel: „Du ärgerst dich, das kann ich gut verstehen, ist mir auch schon so ergangen“, hätte die Negativspirale stoppen können.

 

Wie ist dieser starke Effekt zu erklären?

 

Die theoretische Grundlage für diesen Effekt bildet das Containing-Konzept von Bion. Das Containing-Konzept besagt, dass Babys und Kleinkinder ein sensibles Gegenüber benötigen, das die Gefühle des Kindes zunächst „aufnimmt“ wie in einem Container und dann geordnet zurückspiegelt und beantwortet. Die Mutter, die ihr weinendes Kind sieht, nimmt das Gefühl des Kindes wahr und sagt: „Oh, du bist traurig.“ Dann tröstet die Mutter das Kind. Dieses sensible Zusammenspiel wird unzählige Male wiederholt und so lernt das Kind, seine Gefühle selber wahrzunehmen, zu benennen und zu regulieren. Bei Claudius hat dieses sensible Gegenüber in der Kindheit gefehlt und so braucht er bei starken Gefühlen noch heute ein Gegenüber, das seine Gefühle wahrnimmt und ernst nimmt. Wenn man es weiß, ist es einfach, oder?

 


Als Psychologin unterliege ich der absoluten Schweigepflicht. Alle Namen, Rahmenhandlungen und biographischen Details habe ich mir ausgedacht. Die Person, die ich hier beschreibe, gibt es nicht. Lediglich der psychologische Kerngedanke in jedem Beitrag ist real. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0